Neue Heimat - Kapitel 1

1920 - 1932: Ein Kind der Arbeiterbewegung

Die 68er Studentenunruhen schufen eine merkwürdige Konstellation: Hier eine linke außerparlamentarische Opposition, die zumindestens verbal den Anschluß an die Arbeiterbewegung suchte, dort eine Wohnungsbaugesellschaft, die sich schon immer als Teil der Abeiterbewegung verstand. Die Folge war aber keineswegs eine Annäherung. Für die APO wurde die Neue Heimat vielmehr zum gern referierten Beweis für einen menschenverachtenden kapitalistischen Städtebau. Dabei ist eines klar: Die Neue Heimat ist tatsächlich aus der Arbeiterbewegung hervorgegangen, genauer gesagt aus der Gewerkschaftsbewegung und ganz präzise formuliert: Sie ist eine Schöpfung des ADGB, des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Sozialistischer Kapitalismus?

Durch die ganze Geschichte des Sozialismus zieht sich immer wieder eine Frage: Sollen Veränderungen auf dem Weg der Reform oder durch Revolution ereicht werden. Wenn es um die Wohnverhältnisse der Arbeiter ging, lautete die Antwort der Reformer: Genossenschaften gründen. Für die Revolutionäre war dies ein kleinbürgerlicher Irrweg, denn innerhalb des Kapitalismus könne es keine Lösung der Wohnungsfrage geben.
Tatsächlich wurden in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend neue Genossenschaften gegründet. Die Initiatoren kamen aber nicht aus der sozialistischen Arbeiterbewegung, sondern von der Gegenseite: dem Bürgertum, der Kirche. Ein Kampf um die "Seele des Arbeiters" war im Gange. Diese Genossenschaften waren ein gutes Mittel, die Proleten in die Gesellschaft einzubinden, ihre "Lasterhaftigkeit" zu züngeln und sie aus den Klauen der "Volksverführer" zu retten.
Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wagten es einige Sozialisten, Genossenschaften zu gründen. Sie mußten dabei gegen jede Menge Vorbehalte ihrer Genossen kämpfen. Die Befürworter argumentierten, daß Genossenschaften eine gute Vorbereitung auf den Sozialismus seien, sozusagen ein Übungsfeld, auf dem die Arbeiterschaft ihre Fähigkeit zur Organisation der Gesellschaft zeigen kann.
In Hamburg war die "Produktion" ein Vorreiter. Sie war eine Spar-, Konsum- und Wohnungsbaugenossenschaft und damit ein Vorbild für die neuen Strategien der sozialdemokratischen Gewerkschaften nach dem 1. Weltkrieg

ADGB und GKB

Während des 1. Weltkriegs zerstreitet sich die sozialistische Linke endgültig. Die Revolution in Rußland forciert die Aufspaltung. Es bilden sich drei Parteien: KPD, SPD und USPD. Die reformerischen Kräfte konzentrieren sich in der SPD.
Die Gewerkschaftsbewegung war jahrzehntelang zersplittert. In der Weimarer Republik wird der Versuch unternommen, die vielen Einzelgewerkschaften in einer Organisation zusammenzufassen. Der Allgemeine Deutsche Gewerkschatftsbund ADGB wird gegründet. Politisch orientiert er sich an der SPD.
Der ADGB macht sich die Wohnungsfrage zu eigen. Das Konzept eines "gemeinwirtschaftlichen" Wohnungsbau wird erörtert und führt schließlich zur Gründung einer Reihe gewerkschaftlicher Wohnungsunternehmen. Nach der Wirtschaftskrise wird 1926 in Hamburg die Gemeinnützige Kleinwohnungsbau-Gesellschaft Groß-Hamburg gegründet. Aus ihr geht 25 Jahre später die Neue Heimat hervor.

Unter Schumachers Führung

Erstaunlich schnell, schon nach einem halben Jahr, ist Baubeginn des ersten Projektes der GKB. Auf der Veddel, einem hafennahen Wohngebiet in Hamburg, werden 280 Wohnungen errichtet.
Die Wohnprojekte fügen sich unauffällig in das damalige Baugeschehen ein. Die GKB beteiligte sich auch an größeren Projekten, außer auf der Veddel auch in Barmbek-Nord und der Jarrestadt. Alle städtebaulichen Vorgaben werden vom damaligen Oberbaudirektor, Fritz Schumacher, festgelegt. Die Wohnanlagen erhalten dadurch einen sehr geschlossen Charakter. Als Baumaterial ist Klinker vorgeschrieben, die Bauhöhe ist gewöhnlich auf 4, manchmal 5 Geschosse begrenzt, die Gebäude werden in Blockrändern angeordnet. Allgemein kann man von einer gemäßigten Moderne sprechen. Erst bei genaueren Hinsehen fallen die Unterschiede auf: Manche Gebäude zieren expressionistische Zutaten (Elingius & Schramm / Friedrich R. Ostermeyer), andere rekurrieren auf klassische Motive (Gebrüder Gerson) und einige sind trotz des ewigen Backsteins konsequent modern gestaltet (Karl Schneider).

Die GKB beteiligt sich zwar an den großen Wohnungsbauprojekten, aber sie ist immer nur einer unter vielen Bauträgern. Die Auswahl der engagierten Architekten ist die bei solchen Projekten in Hamburg damals übliche, ebenso die Gestaltung. Ein "Highlight" ist sicher die Bebauung am Habichtsplatz nach Entwürfen von u.a. Karl Schneider, hier wird das Neue Bauen konsequent angewendet, wenn auch wieder im Klinkerkleid. Besondere Akzente setzt Schneider mit den weißen Brüstungen der Balkone. Bis 1932 realisiert die GKB 2000 Neubauten, dann bringt die Weltwirtschaftskrise das Baugeschehen zum Erliegen.

Daten 1920 - 1932

Hamburgisches Architekturarchiv der Hamburgischen Architektenkammer