Neue Heimat - Kapitel 3

1950 - 1959: Ein "Kleverle" aus Kassel

Während man in Hamburg noch auf die Freigabe des ehemaligen Gewerkschaftsbesitzes wartet, tut sich in Kassel ein Mann hervor, der alle Schwierigkeiten mit links zu erledigen scheint: Heinrich Plett. Die Neue Heimat Hamburg wird auf ihn aufmerksam und macht ihn 1950 zum Vorsitzenden.
Plett ist Gewerkschaftmitglied, hat Erfahrungen im Wohnungsbau und ist Finanzfachmann mit Berufserfahrungen im Bankwesen. Die Kombination seiner Kenntnisse bringt er voll ein. Der "Spiegel" bescheinigt Plett, Finanzakrobatik hart am Rande der Legalität zu betreiben. Aber eben im Rahmen des Rechts.
Der größte Fehler Heinrich Pletts: Er bringt einen Mitarbeiter nach Hamburg, unter dem die Neue Heimat in den Ruin getrieben wird: Albert Vietor.

Wiederaufbau mit Kontrapunkt

Die Bautätigkeit der Neuen Heimat beschränkt sich zunächst auf Wiederaufbau. Zum Beispiel in Barmbek-Nord. Diese Aufgabe scheint etwas unbefriedigend gewesen zu sein. Jedenfalls, zum Abschluß des Wiederaufbaus in Barmbek setzt man ein Signal: Am Habichtsplatz wird ein Wohnhochhaus im aktuellen Stil errichtet (Architekt: Neue Heimat / Knerlich). Ein Solitär, der zudem nach neuesten Methoden und in Rekordzeit gebaut wird. Gleitbauverfahren heißt die Methode, doch etwas geht schief: Die Fassade fällt bald herunter. Der Schaden kann behoben werden, das Gebäude steht noch heute weithin sichtbar. Das Hochhaus am Habichtsplatz ist ein Beispiel für die ewigen Bemühungen im 20. Jahrhundert, das Bauwesen zu rationalisieren. Mit der neuesten Tendenz, den Plattenbausystemen, hält sich die Neue Heimat vorerst noch zurück. Eine andere Wohnungsbaugesellschaft errichtete 1959 die ersten Plattenbauten in Hamburg.

Eine Mustersiedlung der 50er Jahre

Heinrich Plett war ein Mann mit Ambitionen. Er will die Neue Heimat Hamburg zu einen besonderen Unternehmen machen. Seine Finanzierungskünste kann er mit der Gartenstadt Hohnerkamp beweisen. Die Neue Heimat baut in Hamburg-Bramfeld eine ganze Siedlung aus freien Finanzmitteln. Die Gewerkschaften sind nicht unbedingt begeistert, der normale Finanzierungsweg mit Staatsmitteln liegt ihnen näher. Sie kritisieren außerdem, daß die Mieten zu hoch sind.
Hohnerkamp ist aber auch in anderer Beziehung markant. Die Neue Heimat beauftragte Hans Bernhard Reichow mit der Planung der Siedlung. Reichow war nach seinem Aufstieg im Dritten Reich zum Verfechter eines "organischen Städtebaus" geworden, dessen Ideen er nun mustergültig realisieren konnte. Ein seltener Fall: Ein Architekt kann eine ganze Siedlung allein gestalten (Landschaftsgestaltung: Gustav Lüttge). Er entwirft Gebäude im "Nierentischstil", verputzt in Pastelltönen und legt "organische", geschwungene Straßen an, die jede Kreuzung vermeiden. Insgesamt ein heutzutage denkmalwürdiges, nahezu einmaliges Ensemble.

Ein May macht noch keinen Sommer

War Hohnerkamp schon ein Beleg für die besonderen Ambitionen Heinrich Pletts, so kommt es noch besser. Eine Zeitschrift muß her und ein Planer mit guten Ruf. Für beide Aufgaben findet man einen Mann mit legendärer Vergangenheit: Ernst May. Anfangs kann man den Eindruck bekommen, daß das "Neue Frankfurt" der 20er Jahre eine Wiederauferstehung erfährt. Die Neue Heimat Monatshefte haben ein gutes Layout, betonen zwar die Projekte der Neuen Heimat, bieten aber auch ein Forum für städtebauliche Ideen. In der Planungsabteilung Ernst Mays werden wie in den 20er Jahren Typenhäuser entworfen und es werden Pläne für die moderne, aufgelockerte Stadt geschmiedet.
Aber Geschichte wiederholt sich nur als Karikatur ihrer selbst. Bald zeigt sich, daß der kantige selbstbewußte May und der Apparat des wachsenden Wohnungsunternehmens nicht zusammenpassen. Nach etwas über einen Jahr verläßt Ernst May die Neue Heimat wieder. Beide bleiben aber miteinander verbunden. An vielen der besten und größten Projekten der Neuen Heimat in den 50er Jahren ist May als Entwerfer beteiligt.

Gartenstädte und unerhörtes Wachstum

Seit 1950 erwirbt die Neue Heimat Hamburg fast jedes Jahr die Anteile an einem oder mehreren Unternehmen. Dazu gehören z.B. die AGEKA Hamburg, die Bremer GEWOBA, MÜWOG München und die "Gewerkschaftshaus Lübeck". 1954 beschließt der DGB, alle eigenen Wohnungsunternehmen wirtschaftlich der Neuen Heimat Hamburg zu unterstellen. So wird aus der höchstens regional bedeutenden Wohnungsbaugesellschaft GKB schon in den 50er Jahren der Großkonzern Neue Heimat mit über 100.000 Wohnungen.
"Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen" lautet das Motto der Zeit. Die Wohnraumversorgung in der Bundesrepublik ist miserabel. Viele Gebäude sind zerstört, Vertriebene aus dem Osten fliehen in den Westen und die Deutschen waren noch emsig im Gebären von Kindern. Da paßten auch Großsiedlungen noch gut ins Konzept. Und die Neue Heimat baut sie: München-Bogenhausen, Gartenstadt Farmsen in Hamburg, Grünhöfe in Bremerhaven, St. Lorenz in Lübeck. Und vor allem die Neue Vahr in Bremen.

Die Neue Vahr

Die Neue Vahr im Bremer Osten eine Großsiedlung zu nennen, ist eine Untertreibung. Tatsächlich entsteht hier nach den Prinzipien der aufgelockerten, gegliederten Stadt ein ganzer Stadtteil mit 10.000 Wohnungen. Zu den schon vertrauten Architekten Ernst May und Hans Bernhard Reichow gesellen sich Säume und Hafemann. Alle zusammen schufen einen Prototyp der modernen Gartenstadt. Merkmale: Eigenes Zentrum, Grünzüge, getrenntes Fußwegesystem, gemischte Bauweise vom Hochhaus bis zum zweigeschossigen Reihenhaus und Entmischung der Funktionen: Die Neue Vahr ist eine Wohnstadt, eine "Schlafstadt". Zur Krönung der Wohnanlage verplichtet man einen internationalen Exponenten der Moderne. Alvar Aalto entwirft das Wohnhochaus an der Berliner Freiheit.

Daten 1950-1959

Hamburgisches Architekturarchiv der Hamburgischen Architektenkammer